Dass der Sport, obwohl gerne als unpolitisch deklariert, leicht zum Werkzeug der Machtpolitik werden kann, ist keine ganz neue Erkenntnis. Schon die Nationalsozialisten wussten dieses Werkzeug zu nutzen. Doch zugleich hat der Sport seine eigenen Gesetze – und für Nazis lief nicht alles nach Drehbuch.
Sportliche Großereignisse wie Olympia oder die internationalen Fußball-Turniere fesseln nicht erst heute die Massen. Schon im frühen 20. Jahrhundert zogen Fußballspiele tausende, manchmal zehntausende Zuschauer in ihren Bann. Und selbst in Deutschland, wo Fußball zunächst noch als Sport der besseren Kreise galt, feierte er nach dem Ersten Weltkrieg seinen Durchbruch als Volkssport.
Gerade seine Massenwirksamkeit war es, die den Fußball anfällig für politische Vereinnahmung machte. Die Nationalsozialisten waren von Anfang bemüht, ihn für ihre Zwecke einzuspannen. Dabei spielten sie ein doppeltes Spiel: Es gelang ihnen das Kunststück, den Sport als Mittel der Völkerverständigung zu preisen und zugleich seinen Wert für die „Wehrhaftigkeit“ der Nation, für die Stählung der Körper zu betonen. Um zu verschleiern, dass sie längst den nächsten Krieg planten, inszenierten sich die Nazis 1936, als erstmals Olympische Spiele in Deutschland stattfanden, als weltoffen und friedliebend. Bei anderer Gelegenheit wurden Siege auf dem Fußballfeld gefeiert, als sei ein Kriegszug gewonnen.
Doch das NS-Regime musste auch lernen, dass sich der Sport nur bedingt als Mittel der Propaganda eignete. Propaganda lebt von Kontrolle – aber Sport ist unberechenbar. Nichts hätte besser ins Drehbuch gepasst als ein gutes Abschneiden der „großdeutschen“ Elf, die 1938 bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich antrat. Mit großer Geste waren in die Mannschaft auch österreichische Spieler aufgenommen worden – denn nur wenige Monate vor dem Turnier war der Anschluss Österreichs ans „Dritte Reich“ vollzogen worden. Aber die uneingespielte Mannschaft war chancenlos und ging sieglos unter: Durch eine 2:4-Niederlage gegen die Schweiz schied man im Achtelfinale aus.
Als durch den Überfall der Wehrmacht auf Polen im September 1939 der Zweite Weltkrieg begann, war vom völkerbindenden Charakter des Sports nur noch selten die Rede. Länderspiele wurden höchstens noch gegen Verbündete oder neutrale Staaten ausgetragen, und 1943 wurde der internationale Sportverkehr vollständig eingestellt. Im Inland aber ging der Sportbetrieb weiter: Bis 1944 wurde der Deutsche Meister im Fußball ermittelt, bis die zunehmend zerstörte Infrastruktur und die näher rückenden Fronten auch dies unmöglich machten.
Schon seit Kriegsbeginn hatte sich der Sportbetrieb stärker auf die regionale Ebene verlagert, da die Verkehrslage in Kriegszeiten weitere Reisen erschwerte. Die „Gauliga Baden“ zum Beispiel wurde geteilt: Es gab nun eine Nord- und eine Südgruppe. Doch leichter als Reisen von Mannheim nach Freiburg waren grenzüberschreitende Sportkontakte zu realisieren: Denn auch links des Rheins wurde Fußball gespielt.
Nach dem Feldzug gegen Frankreich wurde im Sommer 1940 das Elsass annektiert. Es folgte eine brutale Germanisierungspolitik – selbst französische Vornamen wurden verboten. Zugleich wurde der kulturelle und auch sportliche Austausch zwischen Baden und dem Elsass gefördert – mit dem Ziel, die Elsässer zu „guten Deutschen“ zu machen.
Doch gerade im Elsass bewies der Fußball seinen subversiven Charakter. Wenn die elsässische Dorfmannschaft gegen eine Wehrmachtself gewann, herrschte diebische Freude. Und die Elsässer nutzten die Chance, ihren Unmut über die deutsche Besatzung auf dem Fußballfeld zu artikulieren – indem sie Gäste aus dem „Altreich“ gnadenlos auspfiffen.
Aber der Fußball bewies ebenso, dass er Brücken bauen konnte. So groß auch der Hass auf die Besatzer war, gab es doch freundschaftliche Begegnungen auf dem Sportplatz. Als die Mannschaft des Freiburger Sport-Clubs – damals als Fußballabteilung der Freiburger Turnerschaft angegliedert – am Osterwochenende 1941 nach Mülhausen und Colmar reiste, um gegen die dortigen Vereine anzutreten, konnte die Vereinszeitschrift im Anschluss von einer freundlichen Atmosphäre berichten. Nach den Spielen saß man noch lange zusammen – und ließ die Politik Politik sein.
Das Geheimnis: Die Freiburger traten als Freunde auf, nicht als Besatzer. Zwar konnten Begegnungen wie diese die verheerende Wirkung der Besatzungszeit kaum mildern. Aber sie machten Hoffnung. Und sie legten die Basis für einen friedlichen, nachbarschaftlichen Neubeginn nach Jahren des Kriegs und der Katastrophe.
Mehr zu der Thematik verrät ein Buch über die Geschichte des Sport-Clubs Freiburg in der NS-Zeit, an dem ich aktuell gemeinsam mit meinem Freiburger Kollegen Robert Neisen arbeite. Es wird noch vor Jahresende 2024 im Herder-Verlag erscheinen.
Der nächste Blog-Beitrag erscheint nach einer Sommerpause am Freitag, den 4. Oktober 2024.