Mathias Faller aus Friedenweiler im Hochschwarzwald reiste 1779 nach Konstantinopel, in die Hauptstadt des Osmanischen Reichs. Zweck der Reise war, neue Absatzmärkte für Schwarzwalduhren zu erschließen. Sein Anliegen trug Faller dem Sultan persönlich vor – und hatte Erfolg.
Über das Leben von Mathias Faller ist nur wenig bekannt – selbst sein Geburtsjahr ist fraglich, es dürfte um 1745 liegen. Gemeinsam mit seinen Brüdern Joseph, Jakob, Georg, Fidelis und Simon Faller gründete er in Friedenweiler um das Jahr 1770 eine Handelskompanie, die auf den Vertrieb von Schwarzwalduhren spezialisiert war. Von Anfang an war es das Ziel der Faller’schen Handelsgesellschaft, Uhren auch in ferne Länder zu exportieren. Allerdings kam es bald schon zu einem Zerwürfnis zwischen Mathias Faller und seinen Brüdern. Letztere warfen ihm Verschwendungssucht vor und schlossen ihn aus dem gemeinsamen Unternehmen aus.
Doch Mathias Faller ließ sich hiervon nicht beirren. 1779 trat er auf eigene Faust – und einige Uhren im Gepäck – den beschwerlichen und gefährlichen Weg nach Konstantinopel an. Dort regierte seit 1774 Sultan Abdul Hamid I. über das Osmanische Großreich: Obwohl dieses bereits seinen Zenit überschritten hatte, reichte es noch immer von Südosteuropa über Kleinasien bis in den Nahen Osten. Faller gelang es, zum Sultan persönlich vorgelassen zu werden. Er überreichte ihm eine kunstvoll gestaltete Spieluhr als Geschenk, was sich als kluger Schachzug erwies: Abdul Hamid erteilte Faller die exklusive Lizenz, Uhren zollfrei ins Osmanische Reich einzuführen und Handel damit zu treiben.
Faller packte die Gelegenheit beim Schopf – und verdiente bald schon ein Vermögen. Wohl zum Ärger seiner Brüder kehrte er nach zehnjähriger Abwesenheit als reicher Mann nach Friedenweiler zurück. Der Überlieferung nach sorgte Faller auch dadurch für Aufsehen im Hochschwarzwald, dass er nun vorzugsweise türkische Kleidung trug.
Fallers Geschichte ist typisch für die Epoche: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfasste den Schwarzwald ein erster großer Globalisierungsschub. Mächtige Tannen aus dem Nordschwarzwald wurden damals in großem Stil bis in die Niederlande geflößt, um von dort aus als Schiffsmaste über die Weltmeere zu segeln. Und der internationale Siegeszug der Schwarzwalduhren, der bis heute andauert, nahm damals seinen Anfang. Zwar reicht die Geschichte des Schwarzwälder Uhrengewerbes bis ins 17. Jahrhundert zurück; doch die frühen Uhrmacher der Region waren meist arme Bauern gewesen, die das Uhrenhandwerk nur als Nebenverdienst betrieben. Mit der Zeit waren sie professioneller geworden, und eine Arbeitsteilung zwischen Produzenten und Händlern hatte sich eingespielt. Die Uhren nicht nur in der näheren Umgebung, sondern auch im Ausland und auf fernen Kontinenten abzusetzen, war der nächste Meilenstein einer atemberaubenden Erfolgsgeschichte. Bereits im frühen 19. Jahrhundert kam Schätzungen zufolge nicht weniger als ein Drittel aller weltweit produzierten Uhren aus dem Schwarzwald.
Mathias Faller, der erfolgreiche Unternehmer aus Friedenweiler, war somit mehr als ein Abenteurer und Lebemann, dessen Mut sich bezahlt machte – er war ein Pionier seiner Branche. Ein langes Leben war Faller jedoch nicht beschieden: Auf einer seiner Reisen an den Bosporus wurde er 1794 überfallen und ermordet.
Wer mehr über Fallers Zeit und den erstaunlichen Siegeszug der Schwarzwalduhr erfahren möchte, wird in meiner Kleinen Geschichte des Schwarzwalds fündig. Speziell zur Geschichte des Schwarzwälder Uhrenbaus ist der mehrfach aufgelegte Klassiker von Herbert Jüttemann („Die Schwarzwalduhr“) besonders zu empfehlen.
Der nächste Blog-Beitrag erscheint wie gewohnt am ersten Freitag des kommenden Monats, also am 2. August 2024.