Im kleinen Ort Rexingen am östlichen Schwarzwaldrand gab es drei Jahrhunderte lang eine große jüdische Gemeinde. Die NS-Zeit machte ihr ein bitteres Ende: Die Rexinger Juden flohen oder wurden ermordet. Doch die 1938 verwüstete Synagoge steht noch heute – und ein Förderverein kämpfte in den 1990er Jahren dafür, sie zu einem Ort der Erinnerung zu machen.
Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 markierte einen grauenhaften Tiefpunkt: Nach jahrelangen Schikanen gegen die jüdische Bevölkerung brannte in der „Reichspogromnacht“ auch in Rexingen die Synagoge. SA-Männer rissen Lampen von den Decken und Wänden, schlugen mit Äxten auf die Bänke ein, zerstörten Tora-Rollen und Gebetsbücher. Das Feuer, das sie legten, wurde zwar gelöscht – allerdings erst, nachdem der Innenraum vollständig ausgebrannt war.
Jahrhundertelang hatten Juden und Christen in Rexingen friedlich zusammengelebt. Der erste Rexinger Jude ist für das Jahr 1516 bezeugt. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts existierte durchgehend eine jüdische Gemeinde vor Ort. Zeitweise gehörte ihr rund die Hälfte der Rexinger Bevölkerung an. Rexingen lag seit dem Mittelalter im Einflussgebiet des Johanniterordens, der die Ansiedlung von Juden förderte: Als Händler und Geldverleiher sollten sie die Wirtschaft ankurbeln. Landwirtschaft oder ein Handwerk zu betreiben, war Juden hingegen verboten.
Der jüdische Friedhof in Rexingen, der bis heute erhalten ist, wurde im 18. Jahrhundert angelegt – das älteste Grab dort stammt aus dem Jahr 1765. Die Synagoge, die 1938 brannte, wurde in den Jahren 1835 bis 1837 erbaut. Bis ins 19. Jahrhundert hinein verdienten sich die meisten Rexinger Juden ihren Lebensunterhalt als kleine, in ärmlichen Verhältnissen lebende Händler und Hausierer, die Wolle oder Rauchwaren ankauften und weiterverkauften. Im späten 19. Jahrhundert begannen viele von ihnen mit dem Viehhandel – und das sehr erfolgreich: Bereits um 1900 war Rexingen einer der bedeutenden Handelsorte des damaligen Königreichs Württemberg, galt als die „Viehbörse Süddeutschlands“. Der umsatzstarke Pferde- und Viehhandel brachte auch der Gemeindekasse hohe Steuereinnahmen und förderte den allgemeinen Wohlstand vor Ort.
1910 lebten 355 Juden in Rexingen – ihre Zahl blieb lange mehr oder minder konstant. Nach dem Ersten Weltkrieg war die größte Zeit des Rexinger Viehhandels zwar vorbei, doch zählte man auch 1930 noch fast 50 Viehhändler in der kleinen Gemeinde.
Die Hetze gegen die jüdischen Händler begann schon vor 1933. Doch nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten dauerte es nicht lange, bis Juden der Zutritt zu Viehmärkten verboten und Gewerbescheine entzogen wurden – dies alles in einem Klima allgemeiner Schikane, in dem Juden zu Bürgern zweiter Klasse degradiert wurden und sich ständigen Anfeindungen ausgesetzt sahen.
Ein Teil der Rexinger Juden hatte schon 1937 den Glauben verloren, dass sich das Blatt noch zum Guten wenden würde. Sie schickten eine Delegation ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina, um Erkundigungen einzuholen: Sie planten bereits die Auswanderung. Tatsächlich nahmen mehrere Rexinger Familien im Februar 1938 – noch vor dem Synagogenbrand – endgültig Abschied von ihrer Heimat. Sie machten sich auf den Weg nach Palästina, wo sie ein rund 60 Hektar großes Gelände an der Mittelmeerküste, im Norden des heutigen Staates Israel, zur Nutzung erhielten. Es war ein „kahles Stück Land“, auf dem sie eine landwirtschaftliche Siedlung gründeten – anfangs nur aus behelfsmäßigen Baracken bestehend. Die neugegründete Siedlung der Rexinger Juden, die bis heute existiert, erhielt den hebräischen Namen Shavei Zion.
Eine der Familien, die 1938 nach Palästina auswanderten, war die Familie Fröhlich, die seit dem 18. Jahrhundert in Rexingen gelebt hatte. Der Viehhändler Julius Fröhlich verließ Deutschland gemeinsam mit seiner Frau und seinen vier Kindern. Seine Mutter und sein Bruder blieben. Beide wurden in den Jahren 1941/42 deportiert und ermordet. Insgesamt fielen weit über 100 Rexinger Jüdinnen und Juden dem Holocaust zum Opfer. Die jüdische Gemeinde in Rexingen löste sich 1939 auf. Die letzte Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof fand 1942 statt.
Die ausgebrannte Rexinger Synagoge diente der Rüstungsfirma Mauser während des Zweiten Weltkriegs als Lager für Gewehrschäfte. 1952, wenige Jahre nach Kriegsende, wurde sie zur evangelischen Kirche umfunktioniert; sie befand sich im Besitz der Gemeinde Rexingen, die 1971 ein Ortsteil der Stadt Horb am Neckar wurde. Auf dem inzwischen verfallenen jüdischen Friedhof erinnerte seit 1947 ein Gedenkstein an die Opfer der Judenverfolgung.
Doch auch in den Köpfen vieler Rexinger blieb die Erinnerung an die früheren jüdischen Mitbürger lebendig. Und als das Gebäude der ehemaligen Synagoge in den 1990er Jahren einer Sanierung bedurfte und der Plan aufkam, es kurzerhand zu verkaufen, formierte sich dagegen eine breite Bewegung vor Ort. Der 1997 gegründete Förderverein „Ehemalige Synagoge Rexingen“ entwickelte ein Konzept, das sich als tragfähig erwies: Das Gebäude sollte weiter als evangelische Kirche genutzt, bei der Sanierung aber wieder an den Zustand vor der Zerstörung angeglichen werden. Mit Landeszuschüssen und Spendengeldern gelang es dem Verein, diese Pläne zu realisieren. Im Innern des Gebäudes erinnert heute ein Gedenkraum an die Geschichte des Ortes.
Der Rexinger „Synagogenverein“ suchte nicht nur den Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Stuttgart, sondern auch zu den Nachfahren der jüdischen Mitbürger, die während der NS-Zeit nach Palästina und auch in die USA ausgewandert waren. Man lud sie ein, und es kam zu emotionalen Begegnungen. Unter den Nachfahren, die Rexingen besuchten, war Amos Fröhlich – ein Sohn von Julius Fröhlich. 1930 geboren, hatte er Deutschland als Achtjähriger verlassen und war von da ab in Shavei Zion, dem schwäbischen Dorf in Palästina, aufgewachsen. Fröhlich verfasste 2012 seine Memoiren – zunächst auf Hebräisch. Die deutsche Übersetzung, die vom Autor selbst stammt, wurde 2021 durch den Rexinger „Synagogenverein“ veröffentlicht. Sie vermittelt ein lebendiges Bild vom jüdischen Leben in Deutschland und vom schwierigen Neuanfang im heutigen Israel.
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