Eine Ausstellung im Freiburger Augustinermuseum wagt eine Antwort: Es war der Kunstmaler Wilhelm Hasemann (1850-1913).
Natürlich existierte der Schwarzwald lange, bevor der aus Preußen stammende Künstler seinen Fuß in die Region setzte. Doch die Freiburger Ausstellung vertritt die These, dass Hasemann nachhaltigen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung hatte: indem er das Bild prägte, das sich Menschen in aller Welt bis heute vom Schwarzwald machen.
Die Argumentationslinie ist folgende: Hasemann, der 1880 erstmals nach Gutach im mittleren Schwarzwald reiste und sich dort – berauscht von Landschaft und Kultur der Region – dauerhaft niederließ, habe wesentliche Bestandteile des heutigen „Mythos Schwarzwald“ erstmals einer breiteren Öffentlichkeit nahegebracht.
Bestes Beispiel dafür: der Bollenhut. Denn zweifellos hat gerade dieser seit dem 19. Jahrhundert eine steile Karriere erlebt: vom Trachten-Utensil, das lediglich in Gutach und zwei benachbarten Ortschaften getragen wurde, zum Symbol für den Schwarzwald schlechthin. Zweifellos hat Hasemann großen Anteil an dieser erstaunlichen Entwicklung.
Ursprünglich reiste Hasemann lediglich mit dem Ziel in den Schwarzwald, Inspiration für einen Auftrag zu finden, den er kurz zuvor übernommen hatte: Er sollte eine Prachtausgabe der Novelle „Die Frau Professorin“ illustrieren – die bekannteste der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, die zu den größten Bestsellern des 19. Jahrhunderts zählten. Der Autor, Berthold Auerbach aus Nordstetten bei Freudenstadt, war noch selbst an der Neuauflage beteiligt – er starb 1882 im 70-sten Lebensjahr.
So erfolgreich Auerbachs Erzählungen zuvor auch gewesen waren: Die von Hasemann illustrierte Neuausgabe fügte entscheidende Zutaten bei. Denn in Auerbachs Texten kamen – anders als auf Hasemanns Bildern – weder Bollenhüte noch die weltberühmten Schwarzwaldhäuser mit dem typischen Walmdach vor; beides gab es in Auerbachs Heimatgemeinde am Nordostrand des Gebirges nicht.
Hasemann wohnte seit 1882 in Gutach, richtete sich ein Atelier ein und steckte andere Künstler mit seiner Begeisterung an – es entstand die „Gutacher Malerkolonie“; ein weiterer prominenter Vertreter war Curt Liebich, der wie Hasemann als Schwarzwaldmaler berühmt wurde. Hasemann selbst gründete in seiner Schwarzwälder Wahlheimat eine Familie und blieb bis an sein Lebensende. Längst zum Ehrenbürger ernannt, wurde er 1913 in Gutach begraben.
Während der rund drei Jahrzehnte, die Hasemann in Gutach lebte und arbeitete, entstanden unzählige Gemälde und Illustrationen – unter anderem für die Werke des Schwarzwalddichters Heinrich Hansjakob, die riesige Auflagen erreichten. Immer wieder waren auf Hasemanns Bildern die Gutacher Bauernhäuser und die ortsübliche Tracht zu sehen. Und so lag es maßgeblich an ihm, dass die Kultur des Gutachtals bald als typisch für den gesamten Schwarzwald galt.
Auch ist es indirekt auf Hasemann zurückzuführen, dass sich gerade die Karriere des Bollenhuts im 20. Jahrhundert eindrucksvoll fortsetzte – oder erst richtig Fahrt aufnahm: Die Operette „Schwarzwaldmädel“, 1917 uraufgeführt, verwendete als literarische Vorlage die Auerbach’sche Erzählung, die Hasemann illustriert hatte. Und so ist es kaum ein Zufall, dass die Hauptdarstellerin wie auf Hasemanns Bildern den Bollenhut trug. Die Operette war im In- und Ausland ein Kassenschlager und wurde mehrfach verfilmt. Beispiellos erfolgreich war vor allem die Farbfilmversion aus dem Jahr 1950 – der erfolgreichste aller Heimatfilme lockte nicht weniger als 15 Millionen Zuschauer in die Kinos. Und – natürlich – war auch hier der leuchtend rote Bollenhut zu sehen.
War Hasemann also tatsächlich der Urheber des „Mythos Schwarzwald“?
Ja und nein.
2012 erschien als Begleitband einer SWR-Dokureihe ein Buch mit dem Titel „Wie der Schwarzwald erfunden wurde“. Dort wird die Neuerfindung der Region früher datiert: in die Zeit der Romantik. Denn schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, lange vor Hasemann, begann sich der Blick auf den Schwarzwald zu wandeln.
War die Natur des Gebirges zuvor meist als rau, gefährlich oder gar abstoßend wahrgenommen worden, entdeckten die Romantiker den Reiz der Wildheit und Ursprünglichkeit. Ebenso angetan hatte es ihnen die urwüchsige Volkskultur mit ihren Trachten und Gebräuchen. Beides fand auch in Kunstwerken seinen Niederschlag. Frühe Schwarzwaldmaler waren – lange vor Hasemann – Carl Ludwig Frommel und Johann Baptist Kirner. Auch Wilhelm Hauff arbeitete mit seinem 1827 erschienenen Schwarzwaldmärchen „Das kalte Herz“ am Mythos der Region.
Aber dennoch: Das Verdienst, Bollenhut und Schwarzwaldhaus einer überregionalen Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben, gebührt Wilhelm Hasemann. Und so ist sein Beitrag zur Genese des „Mythos Schwarzwald“ in der Tat erheblich.
Viele von Hasemanns Werken sind heute übrigens am Wirkungsort des Künstlers zu sehen: im 2005 eröffneten Kunstmuseum Hasemann-Liebich in Gutach.
Die Ausstellung „Wilhelm Hasemann und die Erfindung des Schwarzwalds“ läuft noch bis zum 24. März 2024 im Augustinermuseum Freiburg – ein Besuch lohnt sich.
Meine „Kleine Geschichte des Schwarzwalds“ verrät außerdem mehr darüber, wie der „Mythos Schwarzwald“ seit dem 19. Jahrhundert geprägt wurde und erst jüngst wieder eine Renaissance erlebte.
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