Die Schatten des Krieges – Hemingway im Schwarzwald

Im August 1922 fuhren drei amerikanische Pärchen, mit dem Zug aus Straßburg kommend, nach Triberg. Das Ziel: ein Wanderurlaub im Schwarzwald. Unter den jungen Ausflüglern war der 23-jährige Ernest Hemingway – späterer Literatur-Nobelpreisträger, doch damals noch gänzlich unbekannt.

Hemingway (1899–1961) war gerade frisch verheiratet und arbeitete als Auslandskorrespondent des „Toronto Star“ in Paris. Die Reise in den Schwarzwald trat er mit seiner Frau Hadley und gemeinsamen Freunden an. Doch als er in Triberg nach fünfstündiger Fahrt aus dem Zug stieg, überwog zunächst die Enttäuschung.

Hemingway war Zeit seines Lebens ein Freund der rauen Natur – er liebte das Archaische, Wilde. Was er in Triberg sah, war für ihn kein eigentlicher Wald, sondern eine gezähmte Kulturlandschaft, die den Reiz der Wildnis verloren hatte. Wenn es damals schon echten Massentourismus im Schwarzwald gab, dann in Triberg. Heere von Ausflüglern ließen sich vor dem dortigen Wasserfall ablichten. Und die Stadt selbst war geprägt von dicht aneinandergereihten Hotels.

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Touristen in Triberg (um 1900)

Es missfiel dem Schriftsteller, dass man auf den Wanderwegen um Triberg kaum einen Schritt machen konnte, ohne auf Horden deutscher Wanderer zu treffen. Diese schienen Hemingway zu laut und zu vulgär – in seinem Reisebericht monierte er ihre kurzen Lederhosen, ihren nach Sauerkraut riechenden Atem, und er zeigte sich genervt von dem klappernden Kochgeschirr, das an ihren Rucksäcken baumelte. Wie viel Realität und wie viel Verzerrung in Hemingways Schilderung steckt, ist Spekulation. Auch in seinen Reiseberichten erlaubte sich der Autor ein gewisses Quantum an dichterischer Freiheit. Und natürlich bediente er hier gängige Klischees.

Sicher ist jedenfalls, dass die Einheimischen auf den amerikanischen Gast einen eher ungünstigen Eindruck machten. Und es wurde nicht besser, als die Urlauber von Bauern mit Mistgabeln bedroht und in einem Gasthaus abgewiesen wurden, weil sie als Ausländer unerwünscht waren.

Die Schatten des Ersten Weltkriegs, der keine vier Jahre zurücklag, waren noch sehr präsent. Als Mark Twain, ein anderer berühmter US-Schriftsteller, den Schwarzwald im 19. Jahrhundert bereist hatte, war er weniger feindselig empfangen worden. Doch der Krieg hatte zahlreiche Brücken abgebrochen. Der Hass auf die ehemaligen Kriegsgegner blieb weitverbreitet.

EH 2723P Milan, 1918 Ernest Hemingway, American Red Cross volunteer. Portrait by Ermeni Studios, Milan, Italy. Please credit "Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston".

Hemingway 1918

Hemingway selbst hatte sich als 18-Jähriger freiwillig gemeldet, nachdem die USA dem deutschen Kaiserreich 1917 den Krieg erklärt hatten. Im Juni 1918 wurde er Krankenwagenfahrer des Roten Kreuzes in Italien – das erste Mal, dass er die USA verließ. Nach einigen Wochen hinter der Front wurde er durch Granatsplitter verletzt und verbrachte den Rest des Krieges im Lazarett, was ihm durch einen Orden versüßt wurde. Zurück in den USA, schlug Hemingway eine journalistische Laufbahn ein. 1921 erhielt er die Chance, erneut nach Europa zu reisen – jetzt als Korrespondent des „Toronto Star“.

Während seines rund dreiwöchigen Schwarzwald-Urlaubs erfuhr Hemingway am eigenen Leib, wie wenig die Wunden des Krieges verheilt waren. Bezeichnend ist sein Aufenthalt im Gasthaus „Rössle“ in Oberprechtal, wo er Fleisch, Kartoffeln, Salat und Apfelkuchen aß und auch über Nacht blieb. Die Wirtsleute beschrieb Hemingway mit bissiger Ironie – ganz zu schweigen von den klumpigen Federbetten und dem Misthaufengeruch, der durch das Fenster hereinzog. Doch damit nicht genug: Um ein Haar wurden Hemingway und seine Freunde im „Rössle“ in eine wüste Schlägerei verwickelt, als einige Heißsporne die Amerikaner als „Schweinehunde“ beschimpften. Doch verschwieg Hemingway nicht, dass Einheimische am Nebentisch Partei für die ausländischen Gäste ergriffen. Die Aggressoren traten daraufhin den Rückzug an. Zur Prügelei kam es also nicht – obwohl Hemingway, seit seiner Jugend ein trainierter Boxer, auch dieser wohl nicht aus dem Weg gegangen wäre. Im Rückblick bedauerte er vor allem, nicht verbal zurückgeschlagen zu haben. Seine bescheidenen Deutschkenntnisse erlaubten es nicht.

So durchwachsen die Bekanntschaft mit den Schwarzwäldern war – immerhin musste Hemingway den ersten, ungünstigen Eindruck von der Landschaft der Region nach und nach korrigieren. Je weiter er sich von den touristischen Hotspots entfernte, desto besser gefiel ihm der Schwarzwald. Er genoss die tiefen, fast menschenleeren Tannenwälder, in denen man meist nur einsame Beerenpflückerinnen traf.

Hemingway, der leidenschaftliche Jäger und Angler, war er nicht nur als Wanderer in den Schwarzwald gekommen. Er hatte es auf die Forellen abgesehen, die es hier zuhauf gab. Zwar legte die deutsche Bürokratie einige Hürden in den Weg – eine amtliche Angelerlaubnis zu bekommen, erwies sich als zweckloses Unterfangen. Doch wäre Hemingway nicht Hemingway gewesen, hätte er nicht trotzdem gefischt. Seine Frau stand derweil Schmiere – und wurde man dennoch ertappt, ließ sich die Situation durch ein paar Mark, noch besser durch harte Dollar entschärfen. Während der damaligen Inflation hatte die einheimische Währung bereits erheblich an Wert verloren.

EH 5738P Ernest Hemingway, Paris, circa 1924. Photograph in the Ernest Hemingway Photograph Collection, John Fitzgerald Kennedy Library, Boston.

Hemingway in Paris (ca. 1924)

Als die Hemingways den Schwarzwald Ende August verließen, um weiter bis Köln zu reisen, war die Bilanz gemischt. Hemingway kehrte nicht mehr in die Region zurück, und neben positiven blieben die negativen Erinnerungen. Doch der Eindruck, den der Schwarzwald gemacht hatte, war nachhaltig. Hemingway, der sich seit 1923 vom Journalisten zum ernstzunehmenden Schriftsteller mauserte, kam immer wieder auf die Schwarzwaldreise zurück oder verarbeitete sie in seinen meist autobiografisch angelegten Werken. Selbst in seiner wohl berühmtesten Kurzgeschichte „Schnee auf dem Kilimandscharo“, die Hemingway 1936 veröffentlichte, erinnert sich der Protagonist, der in der afrikanischen Wildnis im Sterben liegt, im Rückblick an den Schwarzwald.

In Triberg und Oberprechtal ist man bis heute recht stolz auf Hemingways Besuch. Am Triberger Wasserfall erinnert seit 1999 eine Tafel an ihn. Und noch immer gibt es in Freiburg, wo der Dichter ebenfalls Halt machte, eine Bar namens „Hemingway“.

Wer mehr über Hemingways Schwarzwald-Reise erfahren möchte, wird in zwei lesenswerten Büchern fündig: In Dörte von Westernhagens „Ve wishen der Fischenkarten“ (2001) und dem 2022 erschienenen, ausgesprochen kurzweiligen Buch „Hemingway im Schwarzwald“ von Thomas Fuchs.

Überflüssig zu erwähnen, dass Hemingways Reise auch in meiner „Kleinen Geschichte des Schwarzwalds“ Thema ist.

Die weiteren Beiträge dieses Blogs erscheinen am ersten Freitag jedes Monats.

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