Kesslers Sekt und die Buhlbach-Story

Der „Buhlbacher Schlegel“ war im 19. Jahrhundert ein sagenhafter Erfolg: Die ungewöhnlich druckresistente Champagnerflasche, die in Buhlbach (Baiersbronn) produziert wurde, war den damaligen Konkurrenzprodukten um Längen überlegen. Durch ihre Kooperation mit der Sektkellerei Kessler gelang es der Buhlbacher Glashütte, zu einem der frühen „Global Player“ aus dem deutschen Südwesten aufzusteigen.

Der Champagner war eine – im wahrsten Sinne – prickelnde Erfindung: Seit den 1720er Jahren gingen Unternehmer in der Champagne dazu über, den Wein aus heimischen Trauben weiterzuverarbeiten: Durch einen zweiten Gärungsprozess, die sogenannte Flaschengärung, wurde er zum perlenden Schaumwein. Denn durch Zusatz von Zucker entstand Kohlensäure. Es dauerte nicht sehr lange, bis das neue Getränk zum letzten Schrei in den feinen französischen Salons avancierte. Und auch in den Nachbarländern sorgte der schäumende Wein, der in Deutschland als Champagner bekannt wurde, für Furore.

Eine kommerzielle Schaumweinproduktion außerhalb Frankreichs gab es lange Zeit nicht – bis Georg Christian Kessler kam: Aus Heilbronn stammend, war Kessler (1787–1842) schon als junger Mann nach Frankreich ausgewandert und hatte bei dem führenden Champagner-Hersteller Veuve Clicquot angeheuert. Dort stieg er in wenigen Jahren zum Prokuristen auf und war zeitweise gar als Nachfolger der Unternehmens-Patriarchin vorgesehen. Doch unternehmensinterne Querelen kamen dazwischen. Und da Kessler, dessen Frau und Kind 1823 einer Seuche zum Opfer fielen, offenbar vom Heimweh geplagt wurde, kehrte er Mitte der 1820er Jahre als inzwischen knapp 40-Jähriger ins damalige Königreich Württemberg zurück. In der aufstrebenden Industriestadt Esslingen bei Stuttgart gründete er 1826 die erste Sektkellerei auf deutschem Boden – sie besteht bis heute.

Georg Christian Kessler im Jahr 1825

Kessler war Kaufmann und Vertriebsexperte: Bei Veuve Clicquot hatte er den Export erfolgreich ausgebaut. Auch verfügte er aus seiner Zeit in der Champagne über wertvolles Insiderwissen über die Schaumweinproduktion. So gelang es ihm schon bei Produktionsbeginn, einen Sekt herzustellen, der in Fachkreisen höchste Anerkennung fand und als weitgehend gleichwertig mit dem französischen Original galt. Zumindest teilweise verkaufte auch Kessler seinen Sekt als Champagner – erst der Versailler Vertrag von 1919 erklärte den klingenden Namen zur geschützten Herkunftsbezeichnung.

Auf dem deutschen Markt schlug Kesslers Schaumwein regelrecht ein. Zu einer makellosen Erfolgsgeschichte fehlte es aber an einem entscheidenden Detail: Die Flaschen, die Kessler anfangs verwendete, waren nicht druckfest genug. Die einheimischen Glasproduzenten waren zwar erfahren in der Herstellung von Wein- oder Bierflaschen; doch einem Druck von bis zu 6 Bar, wie er während der Flaschengärung in Sektflaschen entsteht, waren die damaligen deutschen Produkte nicht gewachsen. Die Folge: Fast jede zweite Flasche explodierte während der Gärung – und der wirtschaftliche Schaden war enorm.

1828 kam die Wende zum Guten: Nach seinen schlechten Erfahrungen mit anderen Lieferanten beauftragte Kessler nun die Glashütte Buhlbach, auf Baiersbronner Gemarkung im württembergischen Nordschwarzwald gelegen, mit der Flaschenlieferung. Und die neugeknüpfte Geschäftsbeziehung wurde zum Glücksfall für beide Seiten: In Buhlbach gelang es, eine geeignete Flasche zu entwickeln: den bald schon berühmten Buhlbacher Schlegel. Das Geheimnis lag zum einen in der Form: Durch den tief eingewölbten Flaschenboden wurde der Druck in der Flasche besser verteilt. Dazu kam eine selbstentwickelte Glasrezeptur – ein sorgfältig gehütetes Geheimnis.

Für die Sektkellerei Kessler war damit der Weg frei, die Produktion erheblich auszuweiten. Und auch für die Glashütte Buhlbach endete durch den gelungenen Coup eine sorgenvolle Zeit: 1758 gegründet, war der Betrieb lange unrentabel gewesen. Nach diversen Eigentümerwechseln war er 1788 teilweise, im Jahr 1800 vollständig in den Besitz der Unternehmerfamilie Böhringer übergegangen, die ihn über vier Generationen hinweg leitete. Den Böhringers gelang es, den Betrieb zu konsolidieren, doch die Margen blieben zunächst weiterhin gering. Erst die Partnerschaft mit Kessler und der enorme Erfolg des Buhlbacher Schlegels machten aus der Buhlbacher „Glasfabrique“, wie sie in den Quellen bezeichnet wird, einen hochrentablen Betrieb, der bald auch über Württemberg hinaus einen glänzenden Ruf genoss.

Mit Kessler-Sekt gefüllt, wurden die Flaschen aus dem Nordschwarzwald nicht nur in Württemberg und im innerdeutschen Ausland verkauft. Sie wurden bald auch bis nach Russland und sogar nach Indien und Amerika exportiert. Und die jährliche Stückzahl der Buhlbacher Sektflaschen stieg in den folgenden Jahrzehnten auf über 2 Millionen – eine schier unglaubliche Zahl angesichts der Tatsache, dass jede einzelne Flasche mundgeblasen wurde; eine maschinelle Glasproduktion war im 19. Jahrhundert noch Zukunftsmusik.

Dass die Buhlbacher Glashütte 1909 ihren Betrieb einstellte, war keineswegs die Folge eines wirtschaftlichen Niedergangs. Bis zuletzt arbeitete sie profitabel. Doch der damalige Inhaber, Hermann Böhringer, näherte sich dem Ruhestandsalter und fand offenbar keinen Nachfolger. Zwar blieb die Familie Böhringer dem Glasgewerbe treu; aber man setzte nun auf günstiger gelegene Standorte wie Freudenstadt und Achern, die damals schon – im Gegensatz zu Buhlbach – an das Eisenbahnnetz angeschlossen waren.

Nach der Schließung wurde ein Teil der Glashüttengebäude abgerissen, andere wurden umgenutzt oder verfielen mit der Zeit. Nach langem Dornröschenschlaf erlebte die ehemalige Glashütte nach der Jahrtausendwende eine überraschende Renaissance: Der „Kulturpark Glashütte“, vom „Förderverein Glashütte“ ins Leben gerufen, ist heute für Touristen geöffnet; und in den erhaltenen Glashüttengebäuden informiert eine Dauerausstellung über die faszinierende Geschichte dieses besonderen Orts.

Natürlich sind die Buhlbacher Glashütte und die Erfolgsgeschichte des Buhlbacher Schlegels Thema in meiner Kleinen Geschichte des Schwarzwalds. Außerdem arbeite ich aktuell gemeinsam mit Dr. Bertram Jenisch vom Landesdenkmalamt an einem Buch über die „Buhlbach-Story“.

Die kommenden Blog-Beitrage erscheinen wie gehabt am ersten Freitag jedes Monats.

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